Isa Schikorsky - Autorin
 
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KARL WILHELM JERUSALEM.
Der Mann, der zu Goethes Werther wurde
Romanbiografie

Das wirkliche Leben und Leiden des Juristen Karl Wilhelm Jerusalem (1747–1772) aus Braunschweig

Goethes 1774 erschienener Roman »Die Leiden des jungen Werther« machte Karl Wilhelm Jerusalem postum weltberühmt und unsterblich. Der Jurist aus Braunschweig galt der Leserschaft als »Urbild« der Hauptfigur. Tatsächlich eint beide, dass sie am Leben verzweifeln. Doch bereits die Gründe dafür unterscheiden sich. Und auch sonst verbindet den fiktiven Werther und den realen Jerusalem wenig. Zu groß ist der Abstand zwischen dem Rebell und empfindsamen Schwärmer auf der einen Seite, dem ehrgeizigen Staatsbeamten und Rationalisten auf der anderen.
Diese historische Romanbiografie erzählt die Geschichte eines ebenso eleganten wie selbstbewussten jungen Mannes mit besten Karriereaussichten, der im Verlauf von dreizehn Monaten alles verliert, was ihm im Leben wichtig und erstrebenswert erscheint.
Im Herbst 1771 trifft der 24-jährige Jerusalem in Wetzlar ein, wo Delegierte der Reichsstände das Reichskammergericht überprüfen. Als Sekretär der Gesandtschaft des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel soll sich der Justizassessor vor seinem Aufstieg zum Hofrat bewähren. Doch die Arbeit erweist sich als mühsam, der Vorgesetzte als schwierig, das Kulturangebot als beschränkt. Selbst Tanzfeste, Rittertafeln, Spielrunden und Spaziergänge können die Langeweile nur kurzfristig vertreiben. Dann trifft zu allem Überfluss noch ein schnöseliger junger Rechtsanwalt aus Frankfurt ein, der vor nichts und niemandem Respekt hat. Wie schon während der gemeinsamen Leipziger Studienzeit geht dieser Goethe auch in Wetzlar Karl Wilhelm Jerusalem gewaltig auf die Nerven. Seine Stimmung verdüstert sich immer weiter, die Probleme scheinen unüberwindlich, eine Lösung ist nicht in Sicht ... (Infos als PDF-Datei)

Näheres zum Verhältnis von Fakten & Fiktionen bei INSTAGRAM unter @karlwilhelmjerusalem

Isa Schikorsky: KARL WILHELM JERUSALEM. Der Mann, der zu Goethes Werther wurde. Romanbiografie
284 Seiten; BoD, Hamburg 2025
ISBN 978-3-8192-3279-4
E-Book: 8,99 Euro, E-Book-SONDERPREIS bis 17.09.2025: 3,99 €; Taschenbuch: 17,50 Euro
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Besondere Merkmale

  • Lebendig gestaltete Literatur- und Kulturgeschichte des Rokoko
  • Eine Geschichte über Verleumdung und Ehre, über Zuversicht, Hoffnung und Vergeblichkeit sowie über (ein wenig) schwärmerische Liebe
  • Goethes Wetzlarer Aufenthalt 1772 aus ungewöhnlichem Blickwinkel betrachtet
  • Der Alltag in Wetzlar, der Stadt des Reichskammergerichts

LESEPROBE (als PDF-Datei)

Dienstag, 17. September 1771

»Nicht so stürmisch, Monsieur.«
Oh Gott, wie peinlich. Wilhelm war in Gedanken versunken aus der Gasthoftür auf den Fischmarkt getreten und beinahe mit einer Dame zusammengestoßen. Er sprang von den Trittsteinen zurück in Matsch und Unrat. Das Blut schoss ihm in den Kopf und zugleich überlegte er fieberhaft, was er in dieser heiklen Situation sagen sollte. Er war noch inkognito in der Stadt und durfte eine Unbekannte nicht ansprechen, aber er musste sich doch entschuldigen. Sollte er sich etwa selbst vorstellen? Das war einer Dame gegenüber unziemlich.
»Bitte untertänigst … hochedle Frau … Madame … gestatten … untröstlich …« stammelte er.
Als er Hilfe suchend aufblickte, verschwanden schlagartig alle Höflichkeitsformeln, die in seinem Hirn gespeichert waren und die ihm sonst selbstverständlich über die Lippen kamen. Vor ihm stand die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Eine äußerst elegante Erscheinung von schlanker Gestalt. Im ebenmäßigen Gesicht glänzten hellbraune Augen. Die mit Spitzen verzierte Haube balancierte auf einem schwindelerregend hohen Haarturm, Seidenbänder kringelten sich bis über die Schultern. In der Hand hielt sie ein Gesangbuch.
»Er ist wohl der neue Sekretär aus Braunschweig«, sagte sie in ernstem Ton, und doch glaubte Wilhelm, ein Lächeln in ihren Mundwinkeln wahrzunehmen, dem feine Ironie beigemischt war.
Er fand die Sprache wieder. »Gestatten: Karl Wilhelm Jerusalem, Legationssekretär des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel«, antwortete er und verbeugte sich tief. »Gnädigste Frau, wenn Sie mir die Kühnheit erlauben …«
»Vielleicht ist dergleichen Verhalten bei Ihnen im Norden üblich«, unterbrach sie ihn, »hier in Wetzlar jedoch wird auf gutes Benehmen geachtet, da rennt man nicht einfach eine Dame über den Haufen, Herr Sekretär.«
Ohne ihm Gelegenheit zu geben, seine Entschuldigungsrede fortzusetzen, schritt sie an ihm vorbei Richtung Dom, wo gerade Glockengeläut einsetzte.
Verblüfft blickte er ihr nach. Was für eine Frau! Gegen sie wirkte selbst Madame von Branconi farblos, die Mätresse des Braunschweiger Erbprinzen, die für ihn wie für alle als schönste Frau des Herzogtums galt.
Die tadelnde Miene eines Passanten riss ­Wilhelm aus seiner Schwärmerei. Er sah an sich herab. Der Schlamm war bis über die Stiefelschäfte gespritzt. So konnte er seine Antrittsbesuche nicht absolvieren. Er kehrte zurück ins Gasthaus.

Eine halbe Stunde später machte sich Wilhelm erneut auf den Weg. Die Stiefel hatte er durch ein Paar Schnallenschuhe ersetzt, das Beinkleid gewechselt. Bis zum Eisenmarkt benötigte er nur wenige Minuten. Sein Ziel war das vierstöckige Fachwerkhaus mit der Gleim’schen Apotheke im Erdgeschoss. Wilhelm blickte daran empor. Der frei stehende Bau wirkte sehr wuchtig. Die Fensterläden hingen schief in den Angeln, an vielen Stellen bröckelte die Tünche. Er steuerte auf das Portal neben dem Apothekeneingang zu. Auf sein Klopfen hin erschien ein hutzeliger Diener unbestimmten Alters in Liv­ree, der Wilhelm im dämmrigen Flur warten ließ. Es dauerte bestimmt eine Viertelstunde, ehe er wieder auftauchte und ihn hinaufführte.
Wilhelms Herz schlug rascher, nicht nur wegen der steilen Treppe und der Erinnerung an die aufregende Begegnung vor der Gasthoftür. Wie würde er empfangen werden? Über seinen neuen, ihm unbekannten Vorgesetzten waren im Herzogtum allerhand Gerüchte in Umlauf. Ein schwieriger Mensch sollte er sein, dieser ­Johann Jakob von Höfler, ein aus Nürnberg stammender Professor für Staatsrecht, der an der Helmstedter Universität gelehrt hatte. Vor vier Jahren war er als Gesandter des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel zur Visitation des Reichskammergerichts nach Wetzlar abgeordnet worden. Er war einer von insgesamt vierundzwanzig Delegierten der Reichsstände, deren Aufgabe darin bestand, die Arbeit des höchsten Reichsgerichts zu überprüfen.
Wilhelm war fest entschlossen, sich mit Höfler gut zu stellen.
Im ersten Stock öffnete der Bediente die Tür zu einer geräumigen, niedrigen Stube. Die Luft roch nach kaltem Rauch und Schweiß. Höfler saß hinter einem mit Aktenstapeln beladenen Tisch am Fenster, offenbar ganz in das Studium eines Schriftstücks versunken. Es dauerte einige Minuten, bis er aufblickte.
Siebenundfünfzig Jahre alt war der Gesandte, wie Wilhelm wusste. Doch sein derbes Gesicht mit dem Doppelkinn ließ ihn älter erscheinen, die Glatzköpfigkeit verstärkte den Eindruck. Eine Perücke baumelte über dem Perückenstock in der Stubenecke. Höfler trug eine Hausjacke aus brauner Wolle, seine Füße steckten in Filzpantoffeln.
Wilhelm war konsterniert. Sein Bedienter Ernst hatte die Visite angekündigt. Wieso präsentierte sich der Vorgesetzte da derart armselig? Wilhelm verzog keine Miene und verbeugte sich beinahe bis zum Boden. Bevor er den Mund öffnen konnte, um das zur Begrüßung übliche Kompliment vorzubringen, dröhnte es von der anderen Tischseite her in unverkennbar bayrischer Stimmfärbung: »So, so. Sie sind also der junge Mann, der den Instruktionen seines Landesherrn widerspricht.«
Wilhelm erstarrte in der Bewegung. Woher wusste der Gesandte das? Wer hatte ihn informiert, dass er darauf gedrungen hatte, eine Passage in seiner Bestallungsurkunde zu streichen? Das musste jemand aus dem Ministerium gewesen sein.
In einem Absatz des herzoglichen Schreibens hatte es geheißen, der Sekretär solle überflüssige Gesellschaften und Gelegenheiten meiden, die seine Arbeitsamkeit beeinträchtigen könnten. Das hatte Wilhelm in seiner Ehre gekränkt. Was bekämen denn die Leute für einen Eindruck von ihm, wenn sie das läsen? Sie würden meinen, er wäre pflichtvergessen und müsste ermahnt werden, seine Aufgaben ordentlich zu erfüllen. Also hatte er den Herzog gebeten, die Urkunde in diesem Punkt abzuändern, und dem war stattgegeben worden.
Nein, dachte Wilhelm, er würde sich nicht provozieren lassen. Er ignorierte die Bemerkung und setzte an: »Gnädiger Herr Hofrat …«
»Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mich meiner Stellung gemäß mit Exzellenz ansprechen.«
»Verzeihung, Euer Exzellenz«, korrigierte Wilhelm und betonte die Anrede übertrieben. Was für ein eitler Affe. Trat auf wie ein Bauernbursche und erwartete höchste Ehrerbietung. Wie widersinnig. Na, sei’s drum, mit schönen Reden konnte er dienen. Wortreich verpflichtete er sich dem Gesandten gegenüber zu Verschwiegenheit, Fleiß und Folgsamkeit. Jederzeit werde er sich untadelig verhalten, setzte er hinzu, und garnierte seine Ausführungen mit Kratzfüßen.
Höfler hörte mit gelangweilter Miene zu. Nachdem Wilhelm geendet hatte, bot er ihm weder einen Stuhl noch eine Erfrischung an.
»Ich erwarte Subordination«, sagte er kurz und bestimmt. »Und ich hoffe inständig, dass ich mit Ihnen nicht denselben Ärger bekomme wie mit Ihrem Vorgänger.«
»Da können Exzellenz sicher sein. Sowohl die Professoren in Leipzig und Göttingen, bei denen ich studiert habe, als auch die Vorgesetzten in der Justizkanzlei haben mir stets vorbildliches Betragen und unermüdlichen Arbeitseifer bescheinigt.«
»Ihre wichtigste Aufgabe wird der ununterbrochene Besuch der Diktaturstube sein, wo die Protokolle der Sitzungen vorgelesen werden und nachzuschreiben sind«, setzte Höfler hinzu.
Wilhelm versicherte seine Bereitschaft dazu. Das stand ebenfalls in seiner Instruktion, die er jetzt vorzeigte, zusammen mit einem von Justizminister von Praun ausgefertigten Brief. Der besagte, der Sekretär ­Jerusalem habe Sorge zu tragen, Überlieferungslücken in der Registratur der Justizkanzlei in Wolfenbüttel durch die Anfertigung von Abschriften zu schließen.
Höfler las beide Schreiben, ließ jedoch nicht erkennen, was er davon hielt. Stattdessen wiederholte er, dass dem Besuch der Diktatur Vorrang vor allem anderen gebühre.
Damit schienen die dienstlichen Belange hinreichend geklärt zu sein, denn der Gesandte fragte Wilhelm nun, ob er eine Unterkunft gefunden habe.
Der freute sich über das Interesse an seinen persönlichen Angelegenheiten. »Nein«, sagte er und erzählte, dass er erst vorgestern Abend angekommen und im »Goldenen Löwen« abgestiegen sei.
»Sie können hier im Haus wohnen, die Zimmer Ihres Vorgängers sind frei.« Es klang eher nach einer Anordnung als nach einem Angebot. Ohne eine Antwort abzuwarten, klingelte Höfler den Bedienten herbei und trug ihm auf, Wilhelm die Räume zu zeigen.
»Mich entschuldigen Sie. Ich habe zu arbeiten.« Der Gesandte griff zur Schreibfeder und beugte sich erneut über die Akte.
Während Wilhelm dem Hutzelmännchen in die zweite Etage folgte, sann er darüber nach, wie er sich verhalten sollte. Die Aussicht, mit seinem Vorgesetzten unter einem Dach zu leben, behagte ihm nicht sonderlich. Außerdem löste dieses düstere Haus Beklemmungen in ihm aus. Als der Bediente die Tür zur Stube aufstieß, prallte Wilhelm zurück. Ein Schwall feuchter und dumpfiger Luft kam ihm entgegen. Es roch nach Verwesung. Die Wände waren untapeziert, die wenigen Möbel – zwei Sessel, ein paar Stühle, eine Kommode, ein Ess- und ein Schreibtisch – zerschlissen oder verkratzt.
Nebenan in der Kammer überzog der Hausschwamm die Holzbalken wie ein Spinnennetz und am Mauerwerk wucherte Schimmel. Wilhelm war entsetzt. Hier könnte er es keinen Tag aushalten.
Der Bediente zuckte die Schultern. Nun ja, die Räume stünden seit vielen Monaten leer. Und Exzellenz wisse nicht, wie sie aussehen, er habe sie noch nie betreten. Der Mietpreis betrage hundertfünfzig Gulden pro Jahr.
Das war eindeutig Wucher. »Sage Er Exzellenz, ich werde es mir überlegen.« Wilhelm drehte sich um und eilte die Treppen hinab. (top)